Franz-Josef Brüggemeier in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

Barth, Thomas. Politik mit der Umwelt

Der Verfasser gehört zu denjenigen Personen, die bei der natürlichen Umwelt eine weitere Verschärfung in zahlreichen Problembereichen feststellen und nach deren Auffassung die planetaren Grenzen teilweise bereits erreicht sind. Entsprechend möchte er in seiner Untersuchung der Frage nachgehen, "warum trotz umfassender Verbreitung der Themen und Prinzipien des Umweltschutzes in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kein grundlegender sozialer Wandel eingeleitet wurde, der eine wirkliche Lösung der ökologischen Probleme erwarten ließe" (S. 295). Diese Fragen untersucht er am Beispiel der Luftreinhaltung seit den 1970er Jahren, die eines der wichtigsten Bereiche der Umweltpolitik war und deren Analyse deshalb wichtige Aufschlüsse verspricht. Methodisch gehört die Studie zum Bereich der Politischen Soziologie und orientiert sich an sozial-ökologischen, kapitalismuskritischen Ansätzen. Entsprechend ist immer wieder die Rede von gesellschaftlichen Naturverhältnissen, einer Krise der fordistischen Naturbeherrschung oder der Verwertungslogik des Kapitals.

Mit diesem Hintergrund untersucht der Verfasser die Umweltpolitik seit 1970, die anfangs "vornehmlich industriellen Interessen am Erhalt der Produktionsbedingungen Wasser und Luft diente" (S. 296). Als Folge der aufkommenden Umweltbewegung und wachsender Partizipation sei es anschließend nicht mehr möglich gewesen, primär die Sicherstellung der Verwertungsbedingungen des Kapitals zu erreichen; die Umweltpolitik habe auch demokratisch-partizipativen Ansprüchen genügen müssen. Im Fall der Luftreinhaltung konstatiert Barth - in Einklang mit der einschlägigen Literatur - deutliche Erfolge, die jedoch nur einige Gebiete betrafen, vorwiegend auf technisch-juristischen Verfahren beruhten und bei wichtigen neueren Herausforderungen (Klimawandel) keine Lösung böten. Generell besitze die umweltpolitische Problembearbeitung weniger revolutionären als inkrementalistischen Charakter.

Dieser Feststellung wird man nicht widersprechen können. Allerdings fragt sich, was damit gewonnen ist. Sinnvoll ist sie wohl nur für diejenigen, die davon ausgehen, dass eine ‚richtige'Umweltpolitik revolutionär sein müsse, um den erhofften grundlegenden sozialen Wandel zu erreichen und eine wirkliche Lösung ökologischer Probleme zu sichern. Wer diese Auffassung vertritt, wird auch die Schlussfolgerungen des Verfassers teilen. Alle anderen werden das Buch dann mit Gewinn lesen, wenn sie den von ihm vertretenen sozial-ökologischen Ansatz und seine Variante einer politischen Soziologie kennenlernen wollen.

Zum engeren Thema, d. h. der Politik zur Luftreinhaltung und zur allgemeinen Umweltpolitik, hingegen bietet die Untersuchung in erster Linie das bekannte Bild, oft allerdings in reduzierter Form. Die vorliegenden historischen Untersuchungen nutzt der Verfasser nur teilweise und beschränkt sich zudem im Kern auf die Umweltbürokratie und -verbände. Auf Parteien, Unternehmer und Gewerkschaften geht er ebenfalls ein, aber knapp und zu summarisch. Wissenschaft, Technik und Medien bzw. öffentliche Diskurse, die gerade bei Umweltdebatten eine so große Bedeutung besaßen (und besitzen), werden allenfalls gestreift und in eher ominösen Begriffen erwähnt, wenn von einem "Wissen der Öffentlichkeit" (S. 299) die Rede ist, das die offizielle Umweltpolitik nicht einbeziehe.

Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 102. Band, Heft 3 (2015)



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