Arbeiterstimme

Armanski, Gerhard. Monsieur le Capital und Madame la Terre

Seit Jahrzehnten gibt es in Deutschland eine intensive Umwelt-Debatte. Klimawandel, Peak-Oil, Artensterben, Zerstörung der tropischen Regenwälder, Massentierhaltung, zunehmende Wasserknappheit sind nur einige Stichwörter aus dieser Debatte. Inzwischen bekennen sich praktisch alle Parteien und gesellschaftlichen Kräfte in irgendeiner Weise Zu "Umweltschutz" und zu einer "nachhaltigen Entwicklung". Trotz der häufig alarmistischen Tonlage und der prophezeiten Katastrophen, die bis her durchgesetzten Veränderungen sind eher gering und für Aktivisten enttäuschend. Nicht, dass bisher gar nichts geschehen wäre, aber ein echter Richtungswechsel hat nicht stattgefunden. Ein solcher Eindruck wird vielfach auch von den Leitmedien vermittelt, die Dringlichkeit der Probleme steht in einem Missverhältnis. zu den trägen und wenig einschneidenden Reaktionen. Das hier besprochene Buch von Gerhard Armanski befasst sich gründlich und grundsächlich mit diesem Themenkomplex in seiner ganzen Breite, mit den Fakten, mit theoretischen Konzepten, praktischen Lösungsvorschlägen und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

In mehreren Kapiteln (Fieberkurve von Madame la Terre", "Menetekel der Umweltkrise") werden die verschiedensten Erscheinungsformen der "Umweltkrise" dargestellt und die Erkenntnisse der Ökologie ausführlich referiert. Der Autor bleibt aber nicht bei Beschreibungen stehen. Gründlich wird das Verhältnis von Mensch zu Natur auch in seinem historischen Werden analysiert (Kapitel: "Natur in Geschichte um Gesellschaft", Natur, Mensch und Tier in Evolution und Kulturgeschichte"). Einen Schwerpunkt bildet dabei, wie es auch der Titel des Buches ankündigt, die kapitalistische Bestimmtheit des Stoffwechsels Mensch-Natur ("Die Machenschaften von Monsieur le Capital"). Es wird aufgezeigt wie tief und umfassend "unsere" Vorstellungen durch die kapitalistische Praxis der letzten Jahrhunderte geformt sind. Das geht weit über ökonomische Fragen hinaus und umfasst auch die Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden Menschenbild, mit dem Menschen an der Spitze der Pyramide aller Lebewesen, berufen zum Herrschen über die anderen, undd der anthropozentrischen Vorstellung, dass die ganze Natur hauptsächlich oder ausschließlich ihm, dem Menschen, zur Benutzung und Verbrauch zur Verfügung steht.

Auch die Herausbildung der Naturwissenschaften, die heute auch die ökologische Debatte dominieren, kann nicht ohne der sich gleichzeitig entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft und Kapitalismus verstanden werden. In den naturwissenschaftlichen Begrifflichkeiten und Herangehensweisen spiegelt sich auch die gesellschaftliche sprich kapitalistische Praxis.

Ausführlich werden die verschiedenen Konzepte dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen, die die Umwelt- und ökologische Problematik thematisieren. Wie der Autor schreibt (S. 238) hegt er einige Sympathie für das Konzept der sogenannten "tiefen Ökologie". Der Autor charakterisiert diese Richtung (als Begründer gilt der norwegische Philosoph Arne Naess) folgendermaßen (S. 177f) ". . .'tiefe Ökologie' jedoch, welcher der geläufige Naturschutz zu flach ist und daher zu kurz greift … Sie gründet auf der Integration des menschliche Selbst in das größere der Natur sowie einer biozentrischen Egalität aller Lebewesen. Im scharfen Kontrast zur anthropozentrischen Arroganz bemüht sie sich um organische Einheit im ökologischen Netz ... Wildnis bedeutet dem tiefen Ökologen eine Qualität sui generis, die der menschlichen Bearbeitung zuvor liegt um die es zu beschützen gilt." Aber der Autor hält auch Distanz und folgt dem Konzept nicht in allen Punkten indem er schreibt (S. 177) "Ihr Öko- oder Biozentrismus führt gelegentlich zu schier menschenfeindlichen Haltungen etwa die ‚Nützlichkeit' des Massensterbens infolge von Seuchen betreffend".

Leidenschaftlich plädiert der Autor für einen Ökozentrismus und gegen .die vorherrschenden anthropozentrischen Ansichten (die Natur ist ausschließlich Rohstofflieferant und den menschlichen Zwecken untergeordnet). Menschliche und tierische Interessen und die Belange der Natur insgesamt sollten ausgewogen berücksichtigt werden. Ziel sollte eine gesellschaftliche Praxis sein, die nur das verbraucht, was auch wieder regeneriert werden kann. Dabei geht der Autor von der Endlichkeit der Ressourcen aus (S. 46), vermeidet aber eine quantitative Bestimmung z.B. des Zeitpunkts ihrer Erschöpfung. Ihm ist auch bewusst, dass "die Grenzen ... nicht in erster Linie physisch bedingt, sondern durch das kapitalistische Produktionsverhältnis als soziale vermittelt, d.h. seinen Imperativ der Tauschwertmaximierung geschuldet" ... sind (S. 147f). Es wird nicht im Einzelnen untersucht welche Einschränkungen ein solches neues Verhältnis zur Natur gegebenenfalls für die Bevölkerung bedeuten würden. Der Autor spricht sich aber gegen die Parole des "Gürtel enger schnallen aus". Bei der Argumentation ist immer klar, dass die inzwischen hoch entwickelten Produktivkräfte dann die Basis für das anzustrebende Neue bilden und ein Zurück zu wirklich oder angeblich besseren Zuständen der Vergangenheit nicht zur Debatte" stehen kann. Überhaupt wird in diesem Buch darauf verzichtet konkrete Szenarien zu entwerfen oder z.B. Forderungskataloge aufzustellen. Solche können ja auch nicht abstrakt allgemein, sondern nur von konkreten Bewegungen unter Bezugnahme der gegebenen Bedingungen und Kräfteverhältnisse gestellt werden.

Im Abschnitt "Grüner Kapitalismus" werden Wortmeldungen von verschiedenen Seiten diskutiert die vorschlagen und hoffen den Kapitalismus mit einer ökologischen Agenda versöhnen zu können. Sei es indem durch neue Technik umweltschonender und oder nachhaltiger gewirtschaftet werden kann oder weil ja Bio-Produkte oder z.B. Anlagen zur regenerativen Energiegewinnung auch ein Geschäft darstellen mit dem Wachstum generiert werden kann. Demgegenüber wird unter "politischer Ökologie" ein Ansatz verstanden, der für sich in Anspruch nimmt das "gegenwärtige Gesellschafts-system, das einen nicht nachhaltigen Umgang mit dem heutigen und zukünftigen übt und damit seinen eigenen Kollaps heraufbeschwört, ... grundsätzlich umzuwälzen" (S. 215). Politische Ökologie ist damit ein viel radikaleres Konzept als der "Grüne Kapitalismus". Beide Konzepte werden einer gründlichen Kritik unterzogen. Als ihr Ungenügen wird herausgearbeitet, dass ersterer auch in seinen Zielen noch der kapitalistischen Logik verhaftet bleibt und beide die Hauptwiderstände gegen eine ökologische Wende ausblenden und deshalb in eher geringen Teilerfolgen steckenbleiben. So schreibt der Autor nach einer ausführlichen Erörterung der beiden Konzepte (S. 226) "Die Krux in den skizzierten Konzepten der politischen Ökologie, so verdienstvoll sie auch in ihren Analysen um Vorschläge mittlerer Reichweite sein mögen, liegt genau darin, daß sie das bewirkende Schwungrad des herrschenden Naturverhältnisses, nämlich die Profitproduktion, weder thematisiert noch antasten will. Allenfalls gegenüber dem fest im Sattel sitzenden neoliberalen Regime, das staatliche und transnationale Vereinbarungen nicht zulassen will oder unterhöhlt, wird Kritik geäußert. Die Zähmung der bürgerlichen Zivilisation, von der gelegentlich die Rede ist, wird aber ohne Eingriffe in das kapitalistische Produktionssystem nicht abgehen, noch ohne von dessen Umwälzung zu sprechen. Das wären zunächst einmal Reformen, gewiß, die den zentralen Mechanismus nicht aushebeln. Die grundlegende Einsicht, daß der Kapitalismus, der eine historisch unerhörte Steigerung des gesellschaftlichen Reichtums - in widersprüchlichen Formen -bewirkt hat, tendenziell kontraproduktiv wird um in andauernde und zunehmende Untergrabung der Naturgrundlagen des Lebens umschlägt, läßt sich schwerlich eins zu eins umsetzen."

Weiter wird ausgeführt: Im Kapitalismus sind die Arbeiter dem Ergebnis ihrer Arbeit entfremdet. Die Gesellschaft ist gleichzeitig der Basis jeder Produktion, der Natur entfremdet. Es werden also beide ausgebeutet Mensch (Arbeiter) und Natur. Eine grundsätzliche Veränderung setzt damit die Aufhebung von beiden Ausbeutungsverhältnissen voraus, bzw. setzt sie in eins, denn die Ursache von beiden ist das Kapitalverhältnis. Die Aufhebung der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft und der Ausbeutung der Natur sind keine völlig getrennten Dinge, die unabhängig voneinander anzustreben und zu verwirklichen sind. Beide sind miteinander unauflösbar verknüpft. Nur eine von den Zwängen der Kapitalreproduktion befreite Gesellschaft kann auch ihr Verhältnis zur Natur einer Neuordnung in Freiheit unterziehen. Ein wichtiges Anliegen ist dem Autor offensichtlich der herrschenden funktionalen, technokratischen Beziehung zur Natur, bereits heute existierende andere, eher ganzheitliche Sichten gegenüberzusteIlen. Künstlerischen Darstellungen in Dichtung und Malerei, die ein anderes Verhältnis zum Ausdruck bringen als Technik und Kommerz, widmet er einigen Raum. Ein eigenes Kapitel befasst sich mit dem "Garten -oder die Versöhnung von Natur und Kultur im Kleinen?"

Ein weiteres Kapitel "Gott, Kirche und Natur" befasst sich mit theologischen und religiösen Fragen, insbesondere dem Verhältnis der (hauptsächlich christlichen) Religionen zur Natur, den Beziehungen von Religionen und Naturwissenschaften und Aussagen von Naturwissenschaftlern (von Galileo über Einstein zu Stephen Hawking) zu Gott und/oder Religion. Ein eher schwaches Kapitel, nicht weil es Religion zum Thema hat, weil der Autor sehr eklektizistisch vorgeht, diverse Aussagen unstrukturiert aneinanderreiht und nicht klar wird was eigentlich die Intention dieses Kapitels ist.

Die zentralen Thesen des Autors sind aber zwei: 1. dass eine grundsätzliche und radikale Neubestimmung des Verhältnisses von Mensch/Gesellschaft und Natur unter ökologischen Gesichtspunkten unbedingt notwendig ist. Aber 2. eine solche bewusste Neuordnung des Stoffwechsels mit der Natur die Überwindung des Kapitalismus voraussetzt. Solang das nicht gelingt ist zwar eine Art ökologischer Reformismus denkbar und durchaus auch zu unterstützen, der aber auch immer wieder an seine Grenzen stoßen wird und muss. Das unterscheidet dieses Buch von anderen über die Ökologie-Problematik, die diese F rage von der gesellschaftlichen Klassenfrage abtrennen und eine angeblich prioritäre Menschheits-Gattungsfrage postulieren. Gerhard Armanski benennt dagegen immer wieder den engen und kaum zu trennenden Zusammenhang der jetzigen für die Natur zerstörerischen Lebensweise mit der kapitalistischen Produktionsweise und der bürgerlichen Gesellschaft. Diesen Zusammenhang analysiert er aus verschiedenen Blickwinkeln von rein ökonomischen "Zwängen" bis zu öko0logischen Überbau-Phänomenen. Allerdings ist aus seiner Sicht die ökologische Frage keineswegs als bloßes Anhängsel der gesellschaftlichen Frage zu begreifen, die sich praktisch von selbst in einer sozialistischen Gesellschaft auflösen wird. "Generationen werden noch an einem neuen theoretischen und praktischen Verhältnis zur Natur zu arbeiten haben" (S. 199). Das zeigt unter anderen die Erfahrung mit den Gesellschaften des sogenannten Realsozialismus. (Ohne dass diese Beispiele im Buch im Detail analysiert werden).

Der Autor vermeidet jeden Dogmatismus. Er erörtert die ökologische Frage aus verschiedenen Blickwinkeln (Ästhetisch, künstlerisch, theologisch) "indem ich des Längeren auch Positionen vorstelle, die ich nicht unbedingt teile" wie er auf Seite 238 schreibt. Und weiter schreibt er "Gleichzeitig favorisiere ich bestimmte Zugänge zum Thema, die mir nahestehen und vielversprechend erscheinen. Das ist zum einen die ‚tiefe Ökologie' die das schief gewordene Verhältnis zwischen Natur und Anthropozentrik ins Visier nimmt, des Weiteren die Marx'sche Kritik der politischen Ökonomie, die noch immer die treffendsten Einsichten in die Dynamik derselben liefert, sowie die theologische Anschauung der Problematik, die von der göttlichen Geschöpflichkeit aller Lebewesen ausgeht."

Für Linke und Marxisten dürften die Ausführungen zum Kapitalismus auf breite Zustimmung stoßen. Insbesondere das Aufzeigen der engen Verknüpfung der menschlichen Entfremdung und der Naturausbeutung im Kapitalismus. Die durch die tiefe Ökologie beeinflusste Darstellung des anzustrebenden Mensch-Naturverhältnisses wird vermutlich weniger allgemein akzeptiert werden. Ebenso wie die Ausführungen zur Theologie. Auch wer nicht alle Positionen des Buches von Gerhard Armanski teilt, findet dort eine anregende Auseinandersetzung zu den Themen Ökologie, gesellschaftliche Entwicklung und Kapitalismus. Die Notwendigkeit einer radikalen, über die Reparatur der gröbsten Schäden hinausgehende Veränderung des Stoffwechsels mit der Natur dürfte inzwischen zwar weitgehend unter Linken Konsens sein. Zu vielen Fragen sind aber sicherlich noch intensive Diskussionen notwendig.

Arbeiterstimme Nr. 189, Herbst 2015

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