Richard Sorg in: UTOPIE kreativ

Krysmanski, Hans Jürgen. Hirten & Wölfe

Die Reichen und Mächtigen - Materialien und Vorschläge zu ihrer Erforschung

Macht und Herrschaft und deren Verbindung zum Reichtum - dieses große, nicht veraltende Thema ist es, worum es in dem hier vorzustellenden Buch geht. Es ist ein in der soziologischen Zunft heute eher vernachlässigter Gegenstand, ganz im Gegensatz zu seiner realen gesellschaftlichen Bedeutung zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Als ein "Arbeitsbuch" ist es gedacht über "weltweit aktive Machteliten amerikanischen Zuschnitts" (S. 7). Über deren konkrete Gestalt "herrschtgewollte Unklarheit", urteilt der Autor Hans Jürgen Krysmanski, emeritierter Direktor des Soziologischen Instituts der Münsteraner Universität, im Vorwort. Die Gründe dafür und für die entsprechenden weißen Flecken in der Forschungslandschaft zu untersuchen, ist selbst wieder ein interessantes soziologisches Thema, zu dem sich in dem Buch auch einiges finden läßt.
In einer zunehmend globalisierten Welt muß der forschende Blick weltgesellschaftlich geweitet werden. Zugleich kann ein solches Unternehmen seines Umfangs und seiner Diffizilität wegen nicht von einem einzelnen Forscher, einer einzelnen Forscherin erfolgversprechend angegangen werden. Es bedarf dazu der Findigkeit und Kreativität vieler in einer kollektiven Anstrengung, einer intellektuellen sozialen Bewegung. Darum lädt der Autor ein, sich in einem umfassenden Netzwerk zu beteiligen an diesem "Power Structure Research", einem von C. W. Mills in den USA der 1950er Jahre entwickelten Forschungsprogramm (vgl. S. 48 ff.) (1).

Das Buch versteht sich deshalb nicht als ein Endprodukt in diesem ambitionierten Vorhaben, eher als eine Projektskizze. Die zu unterschiedlichen Anlässen entstandenen Einzelbeiträge aus den letzten fünf Jahren (einschließlich eines Textes von Rainer Rilling) sind Zwischen-berichte aus der Werkstatt und bieten eine Materialiensammlung für das Gesamtthema, mit diversen konkreten Vorschlägen für Teilprojekte.

Im folgenden werden einige Fragenkomplexe herausgegriffen und vorgestellt, wobei der Autor ausführlich selbst zu Wort kommen soll.

"Souverän ist, wer über Geldmacht verfügt"

Der erste Abschnitt des Buches, so überschrieben - in Anspielung auf Carl Schmitts berühmt-berüchtigtes Diktum "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt" -, beginnt mit der Frage, was man sich unter den Superreichen vorzustellen hat und um welche Vermögensdimensionen es dabei geht. In die dünne Luft der Superreichen gerät man erst ab einem Milliarden-Vermögen. "Die Zahl solcher Dollarmilliardäre bewegt sich weltweit zwischen 2-3 Tsd. Diese kleine Gruppe als Ganze verfügt über ein Vermögen, das größer ist als das Bruttosozialprodukt der 3 unteren Fünftel aller Staaten oder größer als das Vermögen der unteren 80 Prozent aller Menschen auf dieser Erde" (S. 11).

Die zentrale These des Autors, formuliert in einem hier abgedruckten WDR-Radiointerview von 2003, lautet: "Wirkliche Macht nämlich ist Geldmacht" (S. 14). Für diese These liefern die Beiträge des Buches reiche empirische und z. T. brisante Belege, z. B. über die Carlyle-Group, eine Investment-Gruppe, in der die Bush-Familie, das saudi-arabische Königshaus, arabische Milliardäre einschließlich der bin-Laden-Familie gemeinsam tätig sind (S. 17), ein Faktum, das auch in Fernsehsendungen (etwa von arte) dokumentiert wurde.

Der durch die neoliberalen Vorgaben propagierte und rasant voranschreitende Prozeß der Privatisierung öffentlicher Güter und Dienste wird von Krysmanski nicht nur als Mittel einer beschleunigten Umverteilung von unten nach oben kenntlich gemacht, sondern auch als Machtstrategie. Denn der auf diese Weise akkumulierte Reichtum werde eingesetzt, "um das System der Demokratie in ein System der Herrschaft der Geldmächtigen umzuwandeln und zu stabilisieren" (S. 18). Damit ist ein zentrales Motiv eingeführt, das an verschiedenen Stellen des Buches ausgeführt wird, und zwar unter dem Begriff "Plutokratie" (siehe dazu weiter unten).

Worin bestehen die gegenwärtig feststellbaren tiefgreifenden Veränderungen in der gesellschaftlichen Machttektonik? Eine bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft sei "gar nicht denkbar ohne gewaltige Verwaltungsapparate, ohne komplexe Meinungsbildungsoperationen, ohne strategische Planungsanstrengungen und ohne politische Konsenserzeugung bis hin zur Manipulation der Köpfe" (S. 19). Neu sei, daß ein Teil dieser Macht heute abgeflossen ist in Machtkollektive, die sich im Zuge der zu beobachtenden wachsenden "Privatisierung der Macht" und "Monetarisierung des Politischen" neu formieren (2).

Ein zentrales, von Sozialwissenschaftlern diskutiertes analytisch-theoretisches Problem ist die Frage nach dem Charakter von Macht und Herrschaft im gegenwärtigen Globalisierungsprozeß. Weit verbreitet ist die These, Macht und Herrschaft hätten sich in der modernen Gesellschaft weitgehend anonymisiert und entsubjektiviert sowie gleichzeitig partikularisiert in voneinander unabhängige, autonome Teilsysteme; sie seien in den unpersönlichen Strukturen, in die hinein sie sich verflüchtigten, nur schwer dingfest zu machen, ihre Erforschung daher äußerst schwierig, wenn nicht gar aussichtslos. Eine theoretische Legitimation für eine solche soziologische Forschungsabstinenz mit gutem Gewissen bietet die Luhmannsche Systemtheorie (siehe S. 19), die sich nicht zuletzt deshalb unter Soziologen so großer Beliebtheit erfreuen dürfte. Doch unbeschadet der partiellen Richtigkeit solcher Thesen von einer Entsubjektivierung von Herrschaft läßt sich der Autor nicht davon abbringen, nach den konkreten, personellen Trägern zu fragen, eben nach den Geld- und Machteliten, ihren Interessen und den Mechanismen der Artikulation und Vermittlung dieser Interessen in den öffentlichen Raum hinein, in die Politik und in die operativen Entscheidungszentren.

Am Ende dieses Teils veranschaulicht ein von G. W. Domhoff übernommenes Schema, über welche Vermittlungsschritte (Finanzierungen und Meinungsbildungen über Stiftungen, Hochschulen, think tanks, diverse Gesprächskreise etc.) sich die Belange der amerikanischen Geld- und Machtelite bis hinein ins konkrete Gesetzgebungs- und Regierungshandeln umsetzen (S. 22).

In dem darauf folgenden Abschnitt "Herrschende Klassen und Machteliten" (S. 25 ff.) werden die erwähnten Debatten über Herrschaft begrifflich-theoretisch aufgegriffen und weitergeführt. So befaßt sich Krysmanski in der hier abgedruckten Kurzversion des Artikels "Herrschende Klassen", erschienen 2004 in Band 6 des von W. F. Haug herausgegebenen Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus, auch mit den Schwächen der bisherigen Theorien der herrschenden Klasse. Bei den allgemeinen strukturell-ökonomischen Analysen in der Vergangenheit macht er eine Unterentwicklung der konkreten Handlungsanalyse aus, ganz gemäß der von Göran Therborn lakonisch formulierten Frage: "What does the ruling class do when it rules?" Es werden die Schwierigkeiten vorgeführt, einen stimmigen Begriff von herrschender Klasse in der ›Postmoderne‹ zu finden, wenn man sich nicht auf die Ökonomie (auf den Begriff ›Kapitalistenklasse‹) beschränken, sondern den sozialen Charakter fassen will.

"Amerikas Weg zum Imperium"

In diesem Abschnitt (3) wird die Titelmetapher "Hirten & Wölfe" als Diskrepanz von Selbst- und Fremdwahrnehmung der US-imperialen Eliten erläutert: Diese sehen sich selbst mit biblischem Pathos als Hirten an, werden zugleich aber von anderen, insbesondere "von den Schafen des Südgürtels" (S. 56), als Wölfe wahrgenommen.

Die Machteliten versucht Krysmanski analytisch nach dem Modell einer Ringburg zu beschreiben (S. 57). Den innersten Kern, die primäre Machtelite, bilden die Superreichen (Geldmacht), um sie herum befinden sich, als zweiter Ring, die Konzerneliten (Verwertungsmacht), diese werden umgeben von einem dritten Ring, den politischen Eliten (Verteilungsmacht) und schließlich von einem vierten, den technokratischen Eliten (Wissensmacht). Dies Modell liegt als Vorschlag für die sozialwissenschaftliche Analyse allen Passagen des Buches zugrunde. Und die versammelten Texte behandeln die verschiedenen Interaktionen und Wechselbeziehungen zwischen diesen Eliten- oder Machtringen, konkretisieren diese durch diverses empirisches Material, das durch den bereits erwähnten Power-Research-Ansatz gewonnen wurde, und verfolgen ihre Wandlungen in den sich verändernden historischen Kontexten. Das Ringmodell beschreibt im Grunde die Anatomie der Herrschaft, bezogen vor allem auf die USA als dem gegenwärtigen Imperium auf dem Globus. In diesem Schlüsseltext des Buches wird das die Analyse orientierende und leitende Knochengerüst dann mit empirisch-historischem Fleisch ausgestattet (von den Rockefellers bis zum Enron-Skandal), und es werden zu jedem Unterabschnitt mögliche Forschungsthemen vorgeschlagen, um - gemäß der im Titel bereits formulierten Einladung zur Teilnahme an einem langfristigen und umfassenden Forschungsprogramm - diesen Aufstieg vom Abstrakten (dem anatomischen Modell, der Ringburg) zum begriffenen Konkreten (der lebendigen, erfahrungsgesättigten Darstellung der realen Machtverhältnisse) immer weiter zu vervollständigen, Bei dem zeitlichen Parforce-Ritt durch die Geschichte der US-amerikanischen Herrschaftseliten seit Beginn des 20. Jahrhunderts heißt es im Abschnitt über die 1950er Jahre zu der von C. W. Mills untersuchten Power Elite und deren Vorgehensweisen (etwa am Beispiel der Franchising-Strategie des McDonald-Imperiums) exemplarisch: "Auf dieser Grundlage jedenfalls bauten die Geld- und Machteliten der USA in den folgenden Jahrzehnten das erfolgreichste Franchise-Unternehmen der Geschichte auf, ein politisches Fastfood-Imperium, das weltweit plutokratische Klopse in weichen Demokratiebrötchen vertrieb und noch heute vertreibt" (S. 80). Oder bezogen auf den angeblichen Müßiggang der couponschneidenden Superreichen: "Selbst dümmste Gedanken, auf dem Sonnendeck einer Superyacht produziert, wanderten aus dem Milieu der Superreichen in die Gesellschaft und konnten dort unmittelbar zu materieller Gewalt werden: als Stoff, aus dem sich Verwirrung über die wahren Verhältnisse dieser Welt stiften ließ, als Stoff für die Mythen der Unterhaltungsindustrie" (S. 89).

"Verschwörungen?"

Verschwörungen sind - "ob als Intrigen, heimliche Überwachungen, feindliche Übernahmen oder als Ausschaltung von Konkurrenten - im normalen Wirtschaftsleben nichts Ungewöhnliches. Auch jedes staatliche Handeln, vor allem, seit es Nationalstaaten gibt, hat eine konspirative Dimension" (S. 155). In einem abgedruckten Interview zu einer arte-Sendung verweist Krysmanski deshalb auf die realen Gehalte von bei Machtangelegenheiten notwendig entstehenden Verschwörungstheorien (oder besser "Verschwörungsnarrativen", da es sich ja nicht um Theorien im eigentlichen Sinn handelt, sondern um "Erzählungen", S. 150). Was in einzelnen Beiträgen des Buches über die Mechanismen der Herrschaftsausübung zusammengetragen wird, resümiert Krysmanski so: "Die Macht des großen Geldes formt und äußert sich in informellen Netzwerken, außerhalb der Sichtbarkeit großer Institutionen, es ist eine Welt, in die kleine Soziologen nur auf sehr indirekte Weise Einblick erhalten" (S. 160).

Für die Erforschung der verborgenen Seiten von Herrschaftsausübung fehlen weithin "die wissenschaftlichen Methoden, ausreichende Finanzierungsmittel und nicht zuletzt der Mut der etablierten Wissenschaften" (S. 151). Hier haben deshalb die "investigativen Journalisten und Filmemacher" wie Michael Moore eine wichtige aufklärerische Funktion. "Der Mangel an seriösen Informationen geht aber letztlich auf den geradezu skandalösen Verzicht etablierter Wissenschaftler (...) zurück, sich mit den meist legitimen und interessanten Fragen zu beschäftigen", die "auch die Normalbürger umtreiben. Die Menschen wollen wissen, was hinter den Kulissen passiert" (S. 152). "Verschwörungstheorien wird es geben, so lange es Macht und Herrschaft und damit auch geheime, nichtöffentliche Bereiche der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gibt. Je mehr Demokratie gewagt und der Wissensdurst der Menschen befriedigt wird, um so schneller werden Verschwörungstheorien überflüssig" (ebenda).

Was das analytische sozialwissenschaftliche Instrumentarium angeht, befindet Krysmanski: "Gegen Verschwörungstheorien helfen im übrigen nur Klassentheorien. Dazu aber muss unser Wissen um den Kapitalverwertungsmechanismus, dessen Grundzüge wir kennen, bis in alle möglichen Verästelungen hinein, durch eine soziologische Analyse der derzeitigen Machteliten ergänzt werden" (S. 134), die Strukturanalyse also durch die konkrete Analyse der Akteure. Eine in der "Modernisierungsfalle" verfangene Klassentheorie sei aber kaum geeignet, die heute für den Globalisierungsprozeß charakteristischen Machteliten zu erfassen, die "nicht unbedingt unter öffentlich zugängigen Bedingungen" operieren (S. 144). "Die zentrale Frage scheint also zu sein, ob wir uns mit unserem derzeitigen Begriffsarsenal, mit unseren braven Kapitalanalysen und hochabstrakten Strukturbegriffen wie Global Governance oder Empire, dicht genug an die Akteure der neuen Kriege heranzoomen können" (S. 136). Daß zu den Mitteln und Methoden der Herrschaftsausübung auch Kriege gehören, hat der Autor nicht nur hier, sondern auch in anderen Publikationen gezeigt (4).

Es wurde bereits auf die These von Krysmanski verwiesen, daß Verschwörungstheorien in dem Maße überflüssig würden, wie reale Demokratie an Raum gewinnt. Wie steht es in den USA mit der Demokratie?

Repräsentieren die beiden tonangebenden Parteien, die Republikanische und die Demokratische, im Grunde nur das obere eine Prozent der US-Bevölkerung, wofür einiges spricht, dann müsse man sagen: "Amerika ist eine Plutokratie, keine Demokratie" (S. 156). Krysmanski scheut sich nicht, den bekanntlich auch von alten und neuen Nazis gebrauchten Terminus "Plutokratie" offensiv zu verwenden. Während aber in nazistischen Diskursen der Terminus rassistisch-nationalistisch konnotiert ist, fungiert er hier als ein Gegenbegriff zur Demokratie, der sozialwissenschaftlich verortet wird im Kontext von Globalisierung und Privatisierung: Jene Privatleute, die die Nutznießer der Privatisierungsprozesse sind, "werden immer privater und sie werden immer reicher. Es sieht so aus, als würde ihnen bald die Welt gehören. Die Herrschaft der Reichen nennt man Plutokratie" (S. 10). Dieser Gedanke wird an dieser Stelle weiter entfaltet (5)

Michael Moore sprach bei seiner Rede anläßlich der Oscar-Verleihung von einem "fiktiven Präsidenten". Dazu Krysmanski: "In genau diesem Sinne hat sich ein bestimmtes Zusammenspiel von privatem Reichtum mit ›Direktoraten‹ aus der Konzernwelt, Politik, Militär, Kultur usw. heute zu einem Schwarzen Loch, zu einem Gravitationszentrum der Macht verdichtet, das die Institutionen der Demokratie und die checks and balances der Zivilgesellschaft nicht nur in den USA mit unheimlicher Gewalt aufzusaugen droht" (S. 148).

Zu dem zumindest unter Intellektuellen und Sozialwissenschaftlern offenen Geheimnis, daß die USA keine Demokratie, sondern eine Plutokratie sei, könne man sich auf zwei Arten verhalten: "Leugnet man es wider besseres Wissen und beteiligt sich aktiv an seiner Verschleierung, winken Karrieren in Medien und Wissenschaft; spricht man es aus, wird man an die Peripherie der medialen und wissenschaftlichen Institutionen gedrängt" (S. 156).

"Starke Politik: der Machtkörper des neuimperialen Projekts in den USA"

Zu dem aktuellen Themenkomplex der "Bush-Regression" (S. 121-148) ist auch der in diesen Band aufgenommene analytische und zugleich dossierartige Beitrag von Rainer Rilling zu zählen, der detailliert den "Machtkörper des neuimperialen Projekts", das Rückgrat der Bush-Administration, seziert und nicht nur eine Röntgenaufnahme dieses widersprüchlichen Projekts vorlegt, sondern auch die einzelnen Rinnsale seiner Entstehung zurückverfolgt, die dann, gepusht insbesondere durch den 11. September 2001, zu einem mächtigen Strom angeschwollen sind. Rilling beschreibt dies Projekt als eines, in dem sich "traditionell neoliberale und imperiale Praxen" miteinander verbunden haben (S. 166): der starke nationale Sicherheitsstaat mit einem small government, der shareholder-Kapitalismus mit einem staatsalimentierten Militär-Industrie-Komplex. "Die Bildung eines gemeinsamen Machtkörpers aus neokonservativ-reaganitischen Warriors, fundamentalistischen Christen und marktradikalen Neoliberals" war kein klassisches Bündnis zwischen konservativen Strömungen, "sondern eine Kopplung von Richtungen ganz ungewöhnlicher Diversität" (S. 170).

Rilling parallelisiert dies Herrschaftsprojekt von oben mit der globalisierungskritischen Bewegung von unten, angelehnt an Begriffe des weltweit debattierten Buches "Empire" von Michael Hardt und Antonio Negri: "Dieses Machtprojekt spiegelt, nimmt vorweg und imitiert im Nachhinein, was andernorts geradezu deckungsgleich geschah: die Bildung eines neuen, im Kern linken und antikapitalistischen, global ansetzenden politischen Raums von Seattle über Genua bis nach Porto Alegre und Mumbai, in dem sich eine ganz andere politische Diversität zusammenband, die der neuimperialen Rechten das gegenimperiale Selbstverständnis einer Multitude entgegensetzte" (S. 170).

"Fazit"

Das präsentierte Buch ist, wie erwähnt, zusammengestellt aus unterschiedlichen Texten. Der heterogenen Herkunft der Einzelteile des Bandes geschuldet sind deshalb auch diverse Wiederholungen und Doppelungen, so daß man bestimmte Schlüsselzitate gleich drei- bis viermal an verschiedenen Stellen des Buches lesen kann. Aus Lektoratssicht mag der Band mit seinen oft überlappenden Gegenständen diverser Textsorten (kurze, zugespitzte Statements, Wörterbuchartikel, Rundfunk- und Fernsehinterviews, Einzelstudien etc.), die zwischen zwei Buchdeckeln als Materialfundus und "Bausteine(n) für ein größeres Projekt" (S. 7) zusammengeheftet wurden, eher als suboptimal erscheinen. Ganz anders aber wird man urteilen müssen, wenn man die inhaltliche Qualität dieser Texte betrachtet: Es sind hoch informative, faszinierende Materialien von sozialwissenschaftlicher und politischer Brisanz, Raritäten, gemessen am Mainstream soziologischer Publikationen.

Was die sprachliche Form betrifft, so merkt man schnell, daß der Autor Erfahrung hat in punkto medialer Präsentation und Vermittlung sozialwissenschaftlicher Inhalte (vgl. z. B. seine diversen TV-Dokumentationen). Daß er auch Hollywoodfilme und Science-fiction- oder andere Literatur als Materialien für seine Forschungen auswertet, spiegelt sich in der Machart der Texte. Diese oszillieren zwischen präziser wissenschaftlicher Begrifflichkeit (etwa im Abschnitt "Herrschende Klassen und Machteliten", S. 26 ff.) und einer journalistischen Sprache, die den Gegenstand eher metaphorisch um- und einkreist. Dies kann bisweilen so weit gehen, daß man bei manchen Formulierungen sich in eine geistreiche Konversation auf einer Intellektuellen-Party versetzt wähnt. Jedenfalls bekommt man eine in ihrem Metaphernreichtum höchst anregende wissenschaftliche Prosa mit literarisch-kulinarischen Qualitäten geboten. Und ist es nicht vertretbar, einem Gegenstand, der noch unzureichend erforscht und erkannt ist, sich eher mit lockeren Umschreibungen zu nähern, als ihn vorschnell in einer Scheinpräzision zu fixieren?

Die Perspektive des Buches, der Blick auf seinen Gegenstand ist immer wieder der aus großer Höhe, wie von einem Raumschiff aus auf die Erde, denn es gilt, "das globale Ganze" in den Blick zu nehmen, weil auch die beforschten Akteure - als global players - global denken und agieren. Dieser Blick ›aufs Ganze‹ hindert den Autor nicht daran, einzelne Facetten des Untersuchungsgegenstands sehr konkret und detailreich in den Focus zu nehmen.

Mein Resümee lautet: Wir haben es hier zu tun mit einem spannenden, mit soziologischer Phantasie geschriebenen Buch über die Reichen und Mächtigen sowie die Weisen, wie sie ihre Herrschaft ausüben, zugleich auch über Wege, wie man das Dunkel, das sie umgibt, ein wenig lichten kann. Diese Publikation verdiente es, gemäß dem vom Autor selbst erwähnten ursprünglichen Plan (S. 56, Anm.) ausgearbeitet zu werden zu einem die akademischen Grenzen überschreitenden sozialwissenschaftlichen Aufklärungsbuch über Hintergründe und Akteure des Stücks, das heute auf der Weltbühne gespielt wird und das seine Auswirkungen hat bis hinein in das Klein-Klein der Tagespolitik, nicht nur in den USA.

Das Buch provoziert darüber hinaus zu weiteren Diskussionen und bietet Stoff auch für kontroverse Debatten. Das gilt z. B. für die Verwendung manchen Begriffes wie etwa des der ›Postmoderne‹, wo man die zugrunde gelegte analytische Leistung hinterfragen kann und in dessen Kontext der Autor Zweifel anmeldet, ob das noch Kapitalismus sei, was wir heute erleben; es gilt auch für die Feststellung, wonach der Neoliberalismus heute "seine Grenze erreicht" habe (S. 43) oder für die These, "dass wir derzeit einen Zusammenbruch der Steuerungsinstanzen der bürgerlich-kapitalistischen Welt erleben" (S. 20).

Ein in diesem Buch nicht eigens behandelter, nur angedeuteter, für ein Gesamtverständnis der Problematik aber ebenso zentraler Forschungsgegenstand ist, komplementär zur hier thematisierten Seite der Herrschaft, der Blick auf die Beherrschten: Warum gelingt und wie vollzieht sich deren Unterwerfung? Auf welchen Wegen, auf Grund welcher Mechanismen schaffen es die Superreichen und Herrschenden, daß ihre Interessen und Weltdeutungen, also die von Wenigen, von den Vielen als die ihren (miß)verstanden werden?

Solche Debatten anzuregen und neue Fragen zu stellen bzw. alte neu aufzuwerfen, trägt wesentlich zur Qualität und Produktivität bei, die dieses Buch auszeichnen.

(1) "Fokus des Interesses (des Power Structure Research) sind erstens die Gruppe der Reichen und Superreichen und deren soziale und kulturelle Netzwerke. Zweitens geht es um den Aufstieg der Chief Executive Officers, die seit dem New Deal in mehreren Konzentrationswellen eine zentrale Rolle im Gefüge der Machteliten eingenommen haben und im Gefolge der Globalisierung und Informatisierung durch die Gruppe der Finanzmanager ergänzt wurden. Drittens werden die Abhängigkeiten der politischen Klasse und der Parteien untersucht" (S. 59). (Zurück zur Textstelle)

(2) Vgl. dazu Hans Jürgen Krysmanski: Die Privatisierung der Macht stabilisiert sich. Überlegungen zur Monetarisierung des Politischen, in: UTOPIE kreativ, Heft 167 (September 2004), S. 773-778. (Zurück zur Textstelle)

(3) Dieser Abschnitt beruht auf einem 2001 geschriebenen treatment (das ist ein erweitertes Handlungsschema für einen Film) für ein populärwissenschaftliches Buch, das Hans Jürgen Krysmanski seinerzeit geplant hatte. (Zurück zur Textstelle)

(4) Siehe dazu die Publikationsliste auf seiner homepage www.hjkrysmanksi.de. (Zurück zur Textstelle)

(5) "Plutokratie ist in gewisser Weise nichts andres als ›Privatisierung der Politik‹ oder ›Politik als Privatangelegenheit‹, und zwar Privatangelegenheit einer kleinen Gruppe von Superreichen, denen es als einzigen noch gelingt, wirklich privat zu bleiben und aus dieser Privatheit heraus die öffentlichen Angelegenheiten nach eigenem Wunsch und Willen zu formen" (S. 159). "Extremer Reichtum unterwandert die Demokratie (...) Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, wie wenig wir über die Formen der Machtausübung des Superreichtums wissen" (S. 160). (Zurück zur Textstelle)

UTOPIE kreativ, Heft 180 (Oktober 2005), S. 925-931

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