Widersprüche Heft 152

Trauma in Zeiten globaler Selbstoptimierung

Seit gut zwanzig Jahren verdichtet sich in den Diskursen um „Trauma“ in immer neuen Konjunkturen der Gehalt der Diagnose von der „therapeutischen Gesellschaft“. „Trauma“ verweist sowohl auf die Existenz von individuellem Leid als auch auf die Verwandlung gesellschaftlicher Grenzen und Konflikte in individuelle Defizite und Störungen. Stand das Etikett „Trauma“ ursprünglich auch für eine gesellschaftliche Anerkennung psychischer Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung, so lassen sich damit zur Zeit – im genauen Gegenteil – ausgerechnet die von gesellschaftlichem Elend Betroffenen zu Trägern von Verantwortung ihrer eigenen Umgestaltung machen. Wer sich an den gesellschaftlichen Verhältnissen stört, wer also in Reaktion auf äußere Gewalterfahrungen leidet, der kann jetzt, erst theoretisch, dann aber auch ganz praktisch, selbst zu einer „Störung“ und einer „Gefahr“ der herrschenden Verhältnisse werden.

Über die Widersprüche

Widersprüche: Zeitschrift fur sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich

Gesellschaft als „Diskurs der Wünsche” meint das Verfertigen des Sozialen im Prozess des sozialen Diskurses, nicht Unterwerfung unter vorgefertigte Normierungen.
(Niko Diemer, 1952 - 1992)


1981/82 gründeten Mitglieder der Arbeitsfelder Gesundheit, Sozialarbeit und Schule des Sozialistischen Büros die Zeitschrift Widersprüche. In dieser Zeit des grünen Aufbruchs und der radikalisierten konservativen Wende versuchten sie eine erste Standortbestimmung als Redaktionskollektiv: „Verteidigen, kritisieren, überwinden zugleich”. Unter dieser Programmatik wollten sie als Opposition dazu beitragen, die materiellen Errungenschaften des Bildungs- und Sozialbereichs zu verteidigen, dessen hegemoniale Funktion zu kritisieren und Konzepte zu ihrer Überwindung zu konkretisieren. Zur Überzeugung gelangt, dass eine alternative Sozialpolitik weder politisch noch theoretisch ausreichend für eine sozialistische Perspektive im Bildungs- und Sozialbereich ist, formulierten sie den ersten Versuch einer Alternative zur Sozialpolitik als Überlegungen zu einer „Politik des Sozialen”. An der Präzisierung dieses Begriffes, an seiner theoretischen und politischen Vertiefung arbeiteten sie, als die Frage nach der „Zukunft des Sozialismus nach dem Verschwinden des realen” 1989 auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Das Kenntlichmachen der „sozialen Marktwirtschaft” als modernisiertem Kapitalismus im Westen und Kapitalismus „pur” im Osten erleichtert zwar die Analyse, gibt aber immer noch keine Antwort auf die Frage nach den Subjekten und Akteuren einer Politik des Sozialen, nach Kooperationen und Assoziationen, in denen „die Bedingung der Freiheit des einzelnen die Bedingung der Freiheit aller ist” (Kommunistisches Manifest).
Wer in diesem Diskurs der Redaktion mitstreiten will, ist herzlich eingeladen.