Widersprüche Heft 178

Epistemsiche Gewalt

Widersprüche 178 wollen analytisch sichtbar machen, welche herrschaftlichen Strukturen sich auch in kritischen Wissensproduktionen wiederfinden. Es orientiert sich dabei an den Fragen, was das Konzept analytisch tatsächlich leisten kann und wo es möglicherweise selbst Leerstellen hat. Denn dass die Produktion von Wissen und Wissenschaft nicht jenseits von Machtordnungen stattfindet, sondern diese Ordnung impliziert und auch selbst hervorbringt, ist nicht neu, die kritische Reflexion der eigenen epistemischen Voraussetzungen, Implikationen und Analysen unter machttheoretischen Vorzeichen hingegen bis heute keine Selbstverständlichkeit; auch nicht in linken (akademischen) Projekten, die mit dem Anspruch antreten, „subalternen Stimmen“ Gehör zu verschaffen. Doch gelingt das, wenn das „vertretene“ Subjekt dadurch zum Objekt etablierter Formen von Wissenschaft wird? Sie vergeben Begriffe, die das betroffene Subjekt erst erlernen muss, konstituieren Denkformen, deren Denkmuster das betroffene Subjekt sich erst aneignen muss. Sie etablieren einen Diskurs, der nicht derjenige der betroffenen Subjekte selbst ist und dennoch behauptet, es zu sein. Diese Form einer äußerst subtilen Ausschließung kann schwerer zu erkennen und durchbrechen sein als jede Form von roher, direkter Gewalt. Das Analysekonzept der epistemischen Gewalt intendiert, solche oft unerkannten sozialen Ausschlusspraktiken aufzudecken. 

Über die Widersprüche

Widersprüche: Zeitschrift fur sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich

Gesellschaft als „Diskurs der Wünsche” meint das Verfertigen des Sozialen im Prozess des sozialen Diskurses, nicht Unterwerfung unter vorgefertigte Normierungen.
(Niko Diemer, 1952 - 1992)


1981/82 gründeten Mitglieder der Arbeitsfelder Gesundheit, Sozialarbeit und Schule des Sozialistischen Büros die Zeitschrift Widersprüche. In dieser Zeit des grünen Aufbruchs und der radikalisierten konservativen Wende versuchten sie eine erste Standortbestimmung als Redaktionskollektiv: „Verteidigen, kritisieren, überwinden zugleich”. Unter dieser Programmatik wollten sie als Opposition dazu beitragen, die materiellen Errungenschaften des Bildungs- und Sozialbereichs zu verteidigen, dessen hegemoniale Funktion zu kritisieren und Konzepte zu ihrer Überwindung zu konkretisieren. Zur Überzeugung gelangt, dass eine alternative Sozialpolitik weder politisch noch theoretisch ausreichend für eine sozialistische Perspektive im Bildungs- und Sozialbereich ist, formulierten sie den ersten Versuch einer Alternative zur Sozialpolitik als Überlegungen zu einer „Politik des Sozialen”. An der Präzisierung dieses Begriffes, an seiner theoretischen und politischen Vertiefung arbeiteten sie, als die Frage nach der „Zukunft des Sozialismus nach dem Verschwinden des realen” 1989 auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Das Kenntlichmachen der „sozialen Marktwirtschaft” als modernisiertem Kapitalismus im Westen und Kapitalismus „pur” im Osten erleichtert zwar die Analyse, gibt aber immer noch keine Antwort auf die Frage nach den Subjekten und Akteuren einer Politik des Sozialen, nach Kooperationen und Assoziationen, in denen „die Bedingung der Freiheit des einzelnen die Bedingung der Freiheit aller ist” (Kommunistisches Manifest).
Wer in diesem Diskurs der Redaktion mitstreiten will, ist herzlich eingeladen.